Mit diesen Worten verabschiedete ich mich an einem verregneten Sonntagnachmittag in der Bundeshauptstadt von den Herrschaften aus England, nichtsahnend dass sich wenige Stunden später meine pessimistische Einstellung zu den Auslosungen für Millwall im englischen Pokal schlagartig ändern würde. Kurz vor Ankunft in der Heimat erreichte mich die frohe Botschaft, dass kein geringerer Gegner als Tottenham Hotspur an der altehrwürdigen White Hart Lane im Viertelfinale des FA Cups warten würde. Die Entscheidung, nach London zu fliegen, war somit schnell gefallen, jedoch wurde einem ebenso schnell bewusst, dass es nahezu unmöglich sein würde, ein Ticket für dieses langersehnte Derby zu bekommen. Vom Gästeblock ganz zu schweigen. Da nämlich auch die Rückmeldungen des Kollegen aus South London nicht gerade vielversprechend waren, wurden in den Folgewochen selbst die dubiosesten Ticketagenturen durchforstet. Erfolg? Fehlanzeige. Ohne Karte und einer eher durchwachsenen Portion Optimismus vor Ort noch eine Karte ergattern zu können, wurde am Samstag die Reise nach England angetreten.
Das Spiel der Lions wurde auf Sonntagmittag gelegt, sodass sich nach einer großen Portion Pie &
Mash im hippen East End auch am Samstag noch die Gelegenheit bat, den Ball über das englische Grün rollen zu sehen und Zeuge der huddersfieldschen Wagner Revolution zu werden.
Die vom deutsch-amerikanischen David Wagner trainierten Terrier aus Yorkshire waren zu Gast in Brentford und wollten hier den nächsten Schritt in Richtung Aufstieg machen. Über Brentford selbst gibt es wenig zu berichten. Außer vielleicht, dass ein gewisser Rod Stewart hier einst versuchte den Sprung in den Profifußball zu schaffen. Ansonsten ist Brentford ein kleiner Familienverein im schnieken westlichen Teil von London, der kaum für Schlagzeilen sorgt, aber dessen Stadion für mich zu einem der schönsten in England zählt. Nicht aufgrund der Stimmung, sondern der Tatsache, dass sich an jeder Ecke des Grounds ein kleiner uriger Pub befindet. An der Metro Station South Ealing angekommen merkt man schnell, warum in diesem Teil der Stadt auf Gegenseitigkeit beruhende Animositäten nicht existieren. Die Menschen wirken hier tiefenentspannt. Wer hier wohnt, hat es geschafft. So verwunderte es mich dann auch nicht zu hören, dass der größte Rivale die Cottagers des Fulham Football Club sind. Posh cunts unter sich! Für schmale 32 Euro bekam man dann einen trostlosen Kick zu sehen, den die Favoriten aus Huddersfield mit 0-1 für sich entscheiden konnten. Zeitweise war die Partie aber derart langweilig, dass sogar das Betrachten der Haupteinflugschneise nach Heathrow sich als die spannendere Alternative entpuppte.Aber es sollte ja nur der Auftakt des Wochenendes sein. Der Tag wurde mit den Herren aus South-East London bei Livemusik und zahlreichen Ales in Greenwich abgeschlossen.
Am Morgen des langerwarteten Aufeinandertreffens mit den Yids versammelte sich ein größerer Haufen am Pub „The Crosse Keys“ im Bankenviertel. Die kurzfristig geänderten Öffnungszeiten sowie die frei erfundene „No trainers policy“ sorgten bei der 40 Mann starken Truppe in größtenteils weißen Reebok Classics hier für den ersten Dämpfer am heutigen Tag. Angepisst entschied man sich dafür den anderen Treffpunkt anzusteuern. Dieser war auch schon gut gefüllt mit jeder Menge gut gekleideter Gentlemen, denen schnell anzumerken war, wie lange sie den heutigen Tag herbeigesehnt haben. Nach gut einer Stunde entschied sich der Großteil des Mobs Richtung Turnpike Lane aufzubrechen, um in der Broadwater Farm noch ein wenig ihr Unwesen zu treiben. Wir zogen es jedoch vor, uns noch das eine oder andere Lager zu gönnen und dann die Kollegen aus Offenbach und Düsseldorf am Bahnhof King’s Cross zu empfangen. Immerhin waren es noch knappe 3 Stunden bis Anpfiff. Dank eines Arbeitskollegen waren die beiden immerhin auch schon mit Karten versorgt, so dass nur noch meine Wenigkeit um den Einlass bangen musste. Wir wählten Tottenham Hale als Anreiseroute und bahnten uns von dort durch die heruntergekommenen Straßenzüge den Weg zur White Hart Lane. Man hat ja echt schon einige Ecken in den letzten Jahren gesehen in dieser Stadt, aber eine derart arme und ranzige Gegend war auch uns neu. Kein Wunder, dass die Riots aus dem Jahr 2011 hier ihren Ursprung hatten. Am Stadion verabschiedete ich mich von den Kollegen und versuchte das Unmögliche möglich zu machen. Nach einer schier endlosen Diskussion mit einigen wenigen Schwarzmarkthändlern gab ich irgendwann genervt auf. Einen kleinen Hinweis, in welche Körperregion diese Affen sich ihre abartigen Ticketpreise schieben können, konnte ich mir aber doch nicht ersparen. Auf der Suche nach einer Kneipe stolperte mir dann aber tatsächlich noch ein älterer Herr über den Weg und bot mir für einen humanen Preis noch eine Karte an. Und wie der Zufall es wollte, stand da doch wirklich „Away Supporters“ drauf! Zwei Minuten vor Anpfiff war am Gästeblock noch die Hölle los. Durch ein Nadelöhrsystem wurde man von Old Bill zu einigen der wenigen Drehkreuze gedrängt, umgeben von hunderten Yids, die den Gästen und auch meiner Wenigkeit unmissverständlich zu erkennen gaben, was sie von unserer Anwesenheit in diesem Teil der Stadt hielten. Im Gästeblock selber war es gerammelt voll. Grund hierfür war ein Blocksturm, der wohl unmittelbar vor Anpiff und noch während meiner Kartensuche stattfand. Hätte man das mal vorher gewusst. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich dann die vertrauten Gesichter entdecken und mich dem Gekicke auf dem Rasen widmen.
Der Millwall Support war teilweise ohrenbetäubend und auch der Spurs Anhang war regelmäßig in guter Lautstärke zu vernehmen. Bei einem derartigen Spielverlauf war dies aber auch nicht verwunderlich. Der Tabellenzweite der Premier League in Bestbesetzung fegte die Lions regelrecht vom Platz. Der Klassenunterschied machte sich von der ersten Minute an bemerkbar. Am Ende hieß es 6-0 für die Hausherren. Man merkte schnell, dass die Spurs diesen Wettbewerb, im Gegensatz zu vielen anderen Mannschaften, richtig ernst nahmen und diese Saison was erreichen wollen. Immerhin ist in einsamer Ligapokal aus dem Jahre 2008 das einzige Stück Silber der letzten 10 Jahre. Die Stimmung im Gästeblock blieb vom Spielverlauf jedoch unbeeinflusst. Immerhin wartete man viel zu lang auf diese Auslosung. So war das Spiel von zahlreichen „No one likes us“ Schlachtrufen, dem Millwall roar und etlichen Schmähgesängen und Beleidigungen geprägt. Insbesondere Dele Alli und ein alter südkoreanischer Bekannter aus der Bundesliga durften sich über 90 Minuten lang so einiges anhören. Ein gefundenes Fressen für die englischen tabloids, die am Tag darauf deswegen mal wieder die Rassismuskeule schwenkten und sich als Schutzpatron des dreifachen Torschützen Heung-Min Son aufspielten.Egal, die Jungs südlich der Themse bemühen sich sowieso nicht mehr um eine faire Behandlung seitens der Presse. Ich selber war vom Anblick und Verhalten des Gästeblocks beeindruckt. Ein Bild wie ein ausgestreckter Mittelfinger in das Gesicht der modernen Hochglanz Premier League. Flatcap und Barbour statt Replica Shirt und G-Star. Dazu noch diese raue, laute, jedoch sehr ehrliche und gleichzeitig humorvolle in-your-face Attitüde, die ich so zu schätzen gelernt habe. Proper South London eben. So wurde zum Spielende das frenetisch gesungene „We’re going to Wembley“ der Spurs Fans mit einem lautstarken „We’re going to Shrewsbury“ gekontert.
Nach Spielende entschlossen wir uns die Haltestelle Seven Sisters anzusteuern. Die nicht enden wollende Strecke bot dabei jede Menge Unterhaltung. Als Paradebeispiel sei hier die in den sozialen Netzwerken mittlerweile weit verbreitete Aktion eines älteren Millwall Anhängers zu erwähnen, der einem aufmüpfigen Tottenham Fan ohne lange zu fackeln per Faustschlag auf die Bretter schickte. In diesem Fall auf den versifften Asphalt der High Road.
Mit einer kleinen Kneipentour an der London Bridge wurde der Tag beendet und nach wenigen Stunden Schlaf und mit einem katastrophalen Elektrolythaushalt wurde am Montag die Heimreise angetreten.